Klartraum und Autorschaft – Der Klarträumer als »dream work bricoleur«
Im Mittelpunkt des Dissertationsprojektes steht die Analyse literarischer und filmischer Darstellungen von Klarträumen (vom Träumer bewusst erlebte und gesteuerte Träume1) aus medienästhetischer Perspektive.
Obgleich der luzide Traum erst ab dem 19. Jahrhundert mit Hervey de Saint-Denys’ Les rêves et les moyens de les diriger (1867) zum Gegenstand einer systematischen wissenschaftlichen Auseinandersetzung wird,2 finden sich die Mechanismen des Klartraums in den Künsten durch die Jahrhunderte hindurch von frühen Werken der Antike wie etwa Homers Ilias bis hin zu Gegenwartsliteratur und -filmen wieder. Wie kommt es, dass ein im Hinblick auf die Wissenschaft noch so junges Phänomen epochenübergreifend in den Künsten verarbeitet wurde? Was macht den ästhetischen Reiz des Klartraums aus, der Literaten wie Regisseure zur Auseinandersetzung mit diesem Spezialfall des Traums bewog und welche Formen nimmt die medienästhetische Realisierung des luziden Traums an? Inwiefern gingen ab dem 19. Jahrhundert wissenschaftliche Klartraumtheorien in einzelne literarische und filmische Werke ein und in welcher Hinsicht brachte dies einen Mehrwert für die künstlerische Darstellung mit sich? Diesen Fragen soll im Rahmen der Dissertation nachgegangen werden. Der Schwerpunkt des Textkorpus wird dabei auf Werken des 19. bis 21. Jahrhunderts liegen, da der luzide Traum ab dem 19. Jahrhundert im Kontext wissenschaftlicher Studien3 und der Anerkennung des Traums als ästhetische Kategorie der Literatur vermehrt Eingang in die Künste fand.4
Anders als der gewöhnliche Träumer, der, nach Addison, lediglich als Theater, Zuschauer und Schauspieler5 in einem von seinem Unterbewusstsein inszenierten »Improvisationstheater [des Traums]«6 fungiert, vermag der Klarträumer als Autor des Stücks aufzutreten. Als handelndes Subjekt, das sich des Träumens und seiner Gestaltungsfreiheit bewusst ist,7 kann er die im Traum gegebenen Möglichkeiten der kreativen Selbstverwirklichung vollends auskosten. Indessen beeinflusst sein Unterbewusstsein als Co-Autor zuweilen den Schöpfungsprozess.8
Der Klartraum kann als Modell künstlerischer Kreativität angesehen werden, denn der luzide Träumer gestaltet als Autor eigene fiktive (Traum-)Welten und verleiht seiner Kreativität im spielerischen Experimentieren mit seinen Gestaltungsmöglichkeiten Ausdruck. Dieser These soll im Rahmen einer Studie zum ästhetischen Potenzial des luziden Traums und seiner Verarbeitung in Literatur und Film nachgegangen werden. Ein zentraler Baustein dieser Studie wird eine induktiv, im Hinblick auf die Mimesis des Traums in Literatur und Film entwickelte Typologie von Künstlerklarträumern sein. Letztere unterscheiden sich hinsichtlich des Grades ihrer Intervention in den eigenen oder einen fremden Traum. Darauf aufbauend gilt es im Hauptteil der Arbeit herauszuarbeiten, wie der luzide Traum und die verschiedenen Klarträumertypen in den einzelnen Epochen und Medien (Literatur und Film) dargestellt werden und ob einige Typen bevorzugt innerhalb eines bestimmten Mediums auftreten.
1 Vgl. Paul Tholey: Klarträume als Gegenstand empirischer Untersuchungen. In: Gestalt Theory 2. 1980. S. 175-191, hier S. 175.
2 Vgl. Brigitte Holzinger: Der luzide Traum. Phänomenologie und Physiologie [1994]. 2. Auflage. Wien: WUV-Universitätsverlag 1997. S. 32.
3 Vgl. Holzinger: Der luzide Traum. S. 32.
4 Vgl. Hans-Walter Schmidt-Hannisa: »Der Träumer vollendet sich im Dichter«. Die ästhetische Emanzipation der Traumaufzeichnung. In: Burkhard Schnepel (Hrsg.): Hundert Jahre »Die Traumdeutung«. Kulturwissenschaftliche Perspektiven in der Traumforschung. Köln: Köppe 2001 (= Studien zur Kulturkunde 119). S. 83–106, hier S. 84.
5 Vgl. Joseph Addison: Essay on Dreams. In: The Spectator 487 (1712); zit. nach: The works of the right honourable Joseph Addison. 6 Bde. A new edition with large additions, chiefly unpublished, collected and edited by Henry G. Bohn [Bd. 4]. London: Bohn’s British Classics 1856. S. 1–4, hier S. 3.
6 Manfred Engel: Jeder Träumer ein Shakespeare? Zum poetogenen Potential des Traumes. In: Karl Eibl, Manfred Engel u. Rüdiger Zymner (Hrsg.): Anthropologie der Literatur. Poetogene Strukturen und ästhetisch-soziale Handlungsfelder. Paderborn: mentis 2004. S. 102–117, hier S. 114.
7 Vgl. Paul Tholey: Haben Traumgestalten ein eigenes Bewußtsein? Eine experimentell-phänomenologische Klartraumstudie. In: Gestalt Theory 7 (1985) H. 1. S. 29–46, hier S. 30.
8 Vgl. Holzinger: Der luzide Traum. S. 108.